Eine erste Saisonanalyse

13 Ligaspiele sowie zwei Partien im Landespokal sind absolviert – ein guter Zeitpunkt um auf die bisherige Saison und unsere Neuzugänge zu blicken. Bevor wir zu den Giftblättern der Neu-Akteure kommen, zunächst ein Blick auf die Tabellensituation der Regionalliga Nordost. Diese ist zwar aufgrund etlicher Corona-Absagen etwas verzerrt, allerdings spricht die Tatsache Bände, dass die BSG nur zwei Zähler mehr auf dem Konto hat als Tennis Borussia Berlin – unser Gegner am Sonntag. Dabei haben wir sogar zwei Spiele mehr gespielt. Zum Vergleich: bei Abbruch der vergangenen Saison standen wir nach exakt gleich viel gespielten Partien (Stand: 12.10.2021) 15 Punkte vor TeBe. Es bleibt die Frage: haben sich die Lila-Weißen einfach weiterentwickelt oder wir uns verschlechtert?

Vermutlich beides

Vergleichen wir mal die Statistiken der aktuellen mit denen der letzten Saison. In der Saison 2020/21 erzielten wir in 13 Punktspielen 25 Tore und nahmen nur 12 hin. 7 Siege, 3 Unentschieden und 3 Niederlagen ergaben trotz Abbruch das beste sportliche Ergebnis der BSG seit Neugründung (Platz 3!). Diese Saison: in 13 Ligaspielen erzielten wir nur 14 Tore – ganze 11 (!) weniger als letztes Jahr – und mussten 15 Mal den Ball wieder auf zum Anstoßpunkt bringen. Neu dabei ist die eklatante Heimschwäche der Fünfeckträger. 7 Heimspiele wurden bis jetzt ausgetragen, nur eines konnte gewonnen werden – gegen Aufsteiger Tasmania Berlin. 3 Niederlagen und 3 Unentschieden kommen hinzu.

11 Tore weniger als letzte Saison zum gleichen Zeitpunkt! Bei der BSG hakt es in der Offensive – Quelle: Höllenreiter

Ein großer Anteil der sportlichen Misere – so hart kann und muss man es fast schon formulieren – tragen auch die zum großen Teil unterperformenden Neuzugänge. Einige sind mit viel Vorschusslorbeeren nach Leutzsch gekommen, leisteten aber zu wenig um sich selbst und den Verein sportlich weiterzubringen. Jetzt gibt’s Zeugnisse!

Ben Keßler

Beginnen wir chronologisch und damit auch mit einer echten Überraschung. Denn der junge Ben Keßler bestritt bis auf das erste Ligaspiel in Eilenburg alle Spiele (alle über die komplette Spielzeit). Davon war vor der Saison absolut nicht auszugehen. Aber für seine 19 Lenze agiert dieser überaus souverän und sicher, nur selten schleicht sich Mal ein Stellungsfehler oder ein Fehlpass ein. Der jüngere aber größere Bruder vom Langzeitverletzten Max Keßler hat sich den Stammplatz neben Kapitän Stefan Karau redlich verdient – nicht ohne Grund steigerte er seinen Marktwert auf „transfermarkt.de“ Ende September auf 50 Tausend €. Besonders cool: seine lässige Hackenvorlage zum 1:0 Führungstreffer von Stephane Mvibudulu beim (einzigen) Heimsieg gegen Tasmania Berlin.

Auch auf Ausflüge in die gegnerische Hälfte wagt sich der junge Keßler oft – Quelle: Höllenreiter

Ben Keßler ist nicht nur ein Lichtblick unter den Neuzugängen, sondern jetzt schon Leistungs- und Hoffnungsträger für die Zukunft. Alle Chemiker:innen wünschen sich doch den Verbleib von herausragenden Spielern. Keßler kann eine Ära einleiten und gleichzeitig der Nachfolger für Stefan Karau sein. Ich bin mir sicher, wenn der junge Mann so weiter macht und nicht von Beratern oder Ähnlichem beeinflusst wird, ist das für beide Seiten realistisch und erstrebenswert. Weiter so, Ben!

Florian Brügmann

Florian Brügmann, wohl kaum ein Spielername fällt in der Chemisches-Element-Gruppe so oft wie dieser (bis auf Benjamin Luis vielleicht). Der als Königstransfer aus Cottbus gekommene Defensiv-Spieler, hat sich als echter Allrounder entpuppt. Vermutlich müsste er nur noch mal in den Kasten, dann hätte er alle 11 Positionen durch. Und das wäre nicht mal ein Gag. Ob auf der Sechs, Außenverteidiger, Rechtsaußen, als Zehner oder sogar als Mittelstürmer – Brügmann spielt alles. In 12 Einsätzen kommt er auf 2 Tore und 3 Vorlagen – kein schlechter Wert. Interessant ist, unsere Nummer 2 kommt „nur“ auf 776 Minuten, hat nur zuletzt gegen Jena und Auerbach durchgespielt. Ob er unter Jagatic nicht unumstritten oder einfach bisher nicht fit genug war, lässt sich schlecht sagen.

Brügmann’s zwischenzeitlicher Ausgleichstreffer gegen Jena wird frenetisch gefeiert – Quelle: Höllenreiter

Fakt ist, auch bei Niederlagen war Brügmann oft ein Lichtblick. Deshalb konnten viele Fans seine Auswechslungen oder seine Nichtberückstichtigungen in der Startelf oft nicht verstehen. Zudem gab es Kritik für die verschiedenen Positionen auf denen er eingesetzt wurde. Kontinuität entsteht damit nur schwer. Nichtsdestotrotz ist Brügmann ein Profi, auch jetzt noch. Er haut sich rein und gibt alles. Das rechnen ihm viele zurecht hoch an. Ich glaube, dass man beim angepriesenen Königstransfer noch abwarten muss. Noch ist das oft weder Fisch noch Fleisch. Bei den vielen Vorschusslorbeeren waren die Erwartungen an ihn hoch, vielleicht zu hoch. Brügmann muss einfach sein Spiel weiter durchziehen und zu alter Stärke und Konstanz finden, dann wird das schon!

Anton Kanther

Alles andere als eingeschlagen ist Anton Kanther. Der variable Mittelfeldspieler spielt von Zeit zu Zeit den Faßbender-Ersatz. Mit einem Tor und zwei Vorlagen springt dabei aber erschreckend wenig dabei heraus. Kanther ackert viel, flankt viel, läuft viel – oft jedoch erfolglos. Meiner Meinung nach hat Kanther sogar das Chemie-Gen, er zeigt es aber zu selten. Unsere Nummer 23 – noch immer erst 20 Jahre jung – lamentiert viel, geht nicht jeden Weg mit und wirkt manchmal nahezu bockig. Mit vier gelben Karten (in den ersten 3 Spielen sogar 3 gelbe Karten) als Offensivspieler zeigt sich außerdem seine Unbeherrschtheit und sein ausbaufähiges Timing bei Tacklings.

Kanther’s erstes und bisher einziges Saisontor wird bejubelt – Quelle: Höllenreiter

Bei „FIFA“ würde man hier von einem hohen „Aggressivitäts“-Wert sprechen. Wie gesagt, unser Neuzugang, der in allen bisherigen Pflichtspielen zum Einsatz kam, ist noch sehr jung. Eine schwankende Form ist nichts ungewöhnliches für einen 20-jährigen. Doch nicht umsonst hat „transfermarkt.de“ den Marktwert des Sommerneuzugangs gesenkt. Kanther muss sich straffen und seine Form aus Fürstenwalde wiederfinden. Sonst könnte es für Kanther eng werden in Leutzsch.

Paul Horschig

Zu unserem Neuzugang aus Auerbach lässt sich für mich nur schwer ein Resümee ziehen. Im Großen und Ganzen waren seine Leistungen in Ordnung – mehr aber auch nicht. Der geplante Halili-Ersatz war jedenfalls nicht zu erkennen. Trotz seiner Größe ist ein siegreiches Kopfballduell für unsere Nummer 39 doch eher eine Seltenheit. Auch hier interessant: trotz seiner spielerischen und technischen Limitierung, spielte er zuletzt öfter auf der Sechs – manchmal agierte er im Spiel sogar noch Offensiver. Ich erinnere mich da an das Auswärtsspiel in Potsdam-Babelsberg, als er praktisch schon auf der Zehn agierte.

In 12 Ligaeinsätzen kommt er auf nur 456 Minuten, davon nur zweimal über volle 90 Minuten. Jagatic scheint nicht vom 21-jährigen überzeugt zu sein. Von einem Spieler aus dem Anschlusskader von Zweitligist Erzgebirge Aue, mit immerhin ein paar Minuten Zweitligaerfahrung, hätte man durchaus mehr erwarten können. Doch auch hier gilt, er ist jung und scheint bereit zu sein, für das Fünfeck zu kämpfen – geben wir ihm die Zeit, in der er uns alle überzeugen kann. Los jetzt, Paule!

Denis Jäpel

Für mich persönlich leider die größte Enttäuschung unter den Neuverpflichtungen. Mit großen Erwartungen aus dem verbotenen Stadtteil gekommen, hielt Jäpel wenig vom verpflichteten Versprechen eines spielerischen Torjägers. Wenn man nach seinem Doppelpack in Babelsberg dachte, der Knoten wäre jetzt geplatzt, wurde man bitterböse enttäuscht. Jäpel traf zwar nochmal gegen den Chemnitzer FC, allerdings dürfte er ebenso wenig wie die anwesenden Zuschauer wissen, wie er diesen Treffer erzielt hatte. Seitdem herrscht Flaute und vergebene Torchancen en masse. Dennoch bekam Jäpel stets das Vertrauen des Trainers. Meist blieb er aber blass und glücklos. Und das ist nicht nur schade, weil wir sonst vielleicht mehr Punkte auf den Konto hätten, sondern weil Jäpel in einigen Momenten doch sein Potenzial und seine Qualität zeigt und er doch viel mehr könnte.

Denis Jäpel brachte die BSG Chemie gegen Chemnitz in Führung – Quelle: Hoellenreiter

Dennoch ist unsere Nummer 33 mit Flo Kirstein und Stephane Mvibudulu der beste interne Torschütze. Das spricht nicht weder für Jäpel noch für unsere Offensivabteilung, ist aber ein Fakt. Kurioserweise hob „transfermarkt.de“ seinen Marktwert auf 75 Tausend € an. Nun muss er es den Kritikern, inklusive mir (der ich vor der Saison noch ein Jäpel-Befürworter war) zeigen, dass er es besser kann. 3 Tore in 14 Einsätzen zeugen ja nicht gerade von einem Torriecher beim gebürtigen Weimarer. Jäpel muss sich mehr reinhängen, mehr kämpfen und ackern und auch mehr Chemie leben. Denn das fehlt ihm zur Zeit am meisten.

Timo Mauer

Auch der 24-jährige kam mit großen Erwartungen nach Leutzsch. Der nominelle Faßbender-Ersatz hat selbigen allerdings alles andere als vergessen lassen, auch wenn seine Leistungen nicht unbedingt schlecht waren. So steht nach 12 Ligaeinsätzen nur ein Tor zu buche. Mauer lässt des öfteren den Zug zum Tor sowie Entschlossenheit in knappen Aktionen vermissen. Immerhin: Bei Mauer hat man stets das Gefühl, dass er mit einer guten Aktion für Gefahr sorgen kann. Gegen Hertha II entschied er das Spiel aus dem Nichts. Leider zeigt er das für einen Spieler mit seiner potenziellen Klasse viel zu selten.

Auch Timo Mauer muss noch etwas mehr Chemie verkörpern, um auf dem Platz und auf den Traversen den Durchbruch in Leutzsch zu schaffen. Mauer hat auf jeden Fall das Zeug dazu, nun muss er es nur noch auf den grünen Rasen bringen.

Mauer’s goldener Treffer bei den Hertha Amateuren – Quelle: Höllenreiter

Eine Bewertung von Tom Gründling & Jonas Janke entfällt aufgrund von mangelnden Einsätzen.

Die Leistung der Stadionbesucher:innen stimmt

Auf eines ist in Leutzsch immer Verlass: die Fans. Diese sind so zahlreich wie nie in Leutzsch zugegen. Als einer von nur zwei Ostvereinen in den ersten vier Ligen, konnte man seinen Zuschauerschnitt nicht nur halten sondern sogar noch steigern. 3.113 Zuschauer:innen waren „vor Corona“ durchschnittlich im AKS zugegen – mittlerweile (Stand: 15.10.2021) sind es im Schnitt 3.381 Zusehende. Nur Hansa Rostock ist das auch gelungen. Anderswo muss man gar Tickets verschenken oder in sämtlichen Gewinnspielen verscherbeln um das Stadion wenigstens halbvoll zu bekommen. Auch wenn unsere Mannschaft gerade wenig dafür tut, dass das so bleibt oder nochmal gesteigert wird, ist diese Entwicklung so wichtig wie folgerichtig. Kaum sonstwo ist ein Stadionerlebnis so wie in Leutzsch. Die Stimmung, die Menschen, das Stadion und vieles mehr sind einzigartig in Fußballdeutschland (Niemand wie wir!).

Volle Ränge & volle Leidenschaft – Standard in Leutzsch – Quelle: Höllenreiter

Abschließend: Wir halten zusammen wie der Wind und das Meer. Denn: „Das kann doch einen Leutzscher nicht erschüttern…“ diese kleine sportliche Krise. Egal wie sehr uns die BSG zur Verzweiflung bringt oder wie oft man als Verlierender das Stadion verlässt, am nächsten Wochenende stehen wir dann doch wieder im AKS.