„Es wird definitiv keine Bezahlschranke geben“ – OSTSPORT.TV-Macher Heiko Mallwitz im Interview

Die TV-Vermarktungsrechte für die Regionalliga Nordost wechseln im Sommer für die kommenden vier Jahre zu OSTSPORT.TV. Das Streaming-Start-up verspricht, kostenfrei alle Tore in der Zusammenfassung und ausgewählte Top-Spiele live zu zeigen. Die Plattform befindet sich noch im Aufbau. CHEMISCHES ELEMENT sprach mit OSTSPORT.TV-Mediendirektor Heiko Mallwitz (53) darüber, wie die fixe Idee binnen weniger Wochen Wirklichkeit wurde, wie ohne Bezahlinhalte Geld verdient werden soll und was Vereine und Fans zu erwarten haben.

OSTSPORT.TV-Mediendirektor Heiko Mallwitz
Heiko Mallwitz, geboren 1967 in Potsdam, kommentiert unter anderem Fußball beim Pay-TV-Sender Sky und ist Mediendirektor bei OSTSPORT.TV (Screenshot: YouTube/OstSportTV).

Ich komme aus dem Osten, und der Fußball hier ist einfach genau mein Ding. Da stecken viele spannende Geschichten drin.

Herr Mallwitz, Sie und Ihr Geschäftspartner, der Rechtsanwalt Robert Karehnke, sind die Macher hinter OSTSPORT.TV. Was ist ihr persönlicher Bezug zum ostdeutschen Fußball?

Heiko Mallwitz: Oh, wo fange ich da bloß an. Ich bin in Potsdam geboren und spielte als Torwart bei Turbine Potsdam, bis ich 18 wurde und zur Armee musste. Mein Vater war Fotograf bei der „Märkischen Volksstimme“ und hat mich mit vier oder fünf Jahren zum ersten Mal zu Motor Babelsberg ins Stadion mitgenommen, heute Babelsberg 03. Als Kind schwärmte ich für den 1. FC Magdeburg, als Teenager stand ich bei Stahl Brandenburg in der Fankurve. Wir mussten damals samstags noch in die Schule und sind direkt danach in den Zug gestiegen und zum Stadion am Quenz gefahren. Nach der Armeezeit habe ich in Leipzig Journalistik studiert und angefangen, nebenbei fürs Fernsehen zu arbeiten. Als 1992 der MDR gegründet wurde, ging ich als Reporter in die Sachsen-Sport-Redaktion und habe dann viel mit den sächsischen Vereinen zu tun gehabt. Chemiker werden es nicht so gerne hören, aber ich habe damals unter anderem intensiv den VfB Leipzig begleitet und einen Dokumentarfilm zum Bundesliga-Aufstieg gedreht. Über ZDF, DSF und Sport1 bin ich dann zu Sky gekommen, wo ich heute unter anderem Fußball kommentiere. Weil ich in Berlin wohne, wurde ich immer wieder bei Spielen ostdeutscher Klubs eingesetzt, ob Dynamo Dresden, Erzgebirge Aue oder damals Carl Zeiss Jena und Rot-Weiß Erfurt. Ich komme aus dem Osten, und der Fußball hier ist einfach genau mein Ding. Da stecken viele spannende Geschichten drin.

Und die möchten Sie jetzt auf OSTSPORT.TV erzählen. Wie ist es zu der Idee gekommen?

Mallwitz: Als im Januar bekannt wurde, dass der MDR seine Option auf eine Verlängerung der Verwertungsrechte nicht zieht, habe ich mich mit Robert Karehnke zusammengesetzt. Er ist Rechtsanwalt in Berlin und Experte für Unternehmens- und Medienrecht, wir kennen uns persönlich gut. Wir hatten die fixe Idee: Wenn der MDR aufhört, warum machen wir das nicht selbst? Anfangs war das nur eine Spinnerei, aber dann haben wir uns immer intensiver damit beschäftigt. Nach ersten Gesprächen mit dem Nordostdeutschen Fußballverband (NOFV) haben wir gemerkt, das könnte funktionieren. An diesem Montag haben wir dann die Verträge unterzeichnet.

Das Produkt Regionalliga Nordost ist schon richtig gut. Und wir wollen es jetzt noch weiter nach vorne bringen.

Was reizt Sie an der Regionalliga Nordost und wie wollen Sie die Spiele präsentieren?

Mallwitz: Unabhängig davon, dass mein Partner und ich aus dem Osten kommen, wäre so ein Produkt mit der Regionalliga Nord oder mit der Regionalliga Bayern nicht denkbar. Über die Bayernliga berichtet selbst der Bayerische Rundfunk selten. Wenn der 1. FC Magdeburg absteigen sollte, hätten wir in der Regionalliga Nordost tatsächlich alle drei Europacup-Finalteilnehmer der DDR versammelt. Das ist doch verrückt, oder? Das Produkt Regionalliga Nordost ist schon richtig gut. Und wir wollen es jetzt noch weiter nach vorne bringen. Wie den Fans, den Vereinen und den Sponsoren auch liegt uns eine größtmögliche Ausstrahlung am Herzen. Auf der Plattform OSTSPORT.TV werden wir von allen Spielen der Regionalliga Nordost Zusammenfassungen anbieten. An jedem Tag, an dem die Liga spielt, soll es ein Live-Spiel in voller Länge geben. Und das alles kostenfrei, zugänglich für alle. Wir haben zunächst einmal mit 20 Mannschaften geplant, also 380 Spielen. Wenn es jetzt mehr werden, müssen wir schauen, wie wir es machen. Wir wollen tagesaktuell sein, also wenn am Freitagabend gespielt wird, geht die Zusammenfassung noch am gleichen Tag online.

Bislang liefen die Spiele bei MDR und RBB, oft auch live …

Mallwitz: … wir sehen uns nicht als Konkurrenz zum Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk, sondern als Partner. Wir sind sehr daran interessiert, dass MDR und RBB unsere Produktionen ins Programm nehmen. Die Bilder können live und als Zusammenfassungen auch in den Sportsendungen der Dritten Programme gezeigt werden.

Nur gibt es aktuell nichts zu zeigen, nicht einmal Geisterspiele finden statt. Welches Risiko nehmen Sie auf sich, wenn Sie in der Corona-Krise in die Vermarktung einer stillgelegten Liga investieren?

Mallwitz: Im Moment kann kein Mensch wissen, wie es weitergeht. Ich kann nicht über Vertragsdetails sprechen, aber wir bedenken die Pandemie und die politischen Folgen natürlich mit. Wenn die Saison jetzt losgehen würde, könnten wir noch nicht senden. Wir sind in Gesprächen mit Produktionsfirmen, die wir beauftragen möchten, aber es ist noch nicht unterschriftsreif. Wir planen so, dass wir im Sommer startklar sind, und das am liebsten mit Fans in den Stadien.

Ich gehe fest davon aus, dass die Regionalliga auch in den nächsten Jahren im MDR zu sehen sein wird.

Alle Tore zumindest als Zusammenfassung, jeden Tag ein Live-Spiel – und das kostenlos. Das klingt fast zu gut, um wahr zu sein. Wie wollen Sie das finanzieren?

Mallwitz: Als Rechteinhaber möchten wir Partner gewinnen und sie von unseren Inhalten überzeugen – einerseits Sponsoren, andererseits TV-Sender. Wir bieten zum Beispiel dem MDR an, so viel Regionalliga zu zeigen wie in den vergangenen Jahren oder gerne auch mehr. Ich gehe fest davon aus, dass die Regionalliga auch in den nächsten Jahren im MDR zu sehen sein wird. Wenn wir als junges privates Unternehmen die Produktion stemmen, dürften die Kosten deutlich geringer sein. Sicherlich ist das auch für einen Sender wie den MDR lukrativ. Abnehmer unserer Produktionen könnten aber nicht nur Öffentlich-Rechtliche sein. Wenn Chemie als Erster gegen den Zweitplatzierten Lok spielt, könnte das auch bei Sport1 oder RTL Nitro laufen. Theoretisch könnte auch ein Verein auf uns zukommen und sagen: Unser Spiel am kommenden Wochenende ist vielleicht nicht so interessant und läuft nicht als Live-Stream, aber unser Sponsor hätte das gerne und würde das finanziell unterstützen. Man kann über alles reden.

Sie möchten Ihre Produktionen verkaufen – sollen auch die Fans zahlen?

Mallwitz: Das stand nie zur Debatte. Die Anzahl der zahlungswilligen Kunden wäre zu gering. Und das passt auch nicht zum Konzept. Wir sind angetreten, um die Regionalliga Nordost und den Ostfußball populärer zu machen und nach oben zu bringen. Da können wir die Spiele nicht hinter einer Bezahlschranke verstecken, wo keiner hinguckt.

Können Sie ausschließen, dass sich an Ihrer Meinung in den kommenden Jahren etwas ändert?

Mallwitz: Ja, definitiv. Es wird keine Bezahlschranke geben.

Sie haben die Rechte für die kommenden vier Jahre gesichert. Wie viel haben Sie dafür an den NOFV bezahlt?

Mallwitz: Darüber haben die Vertragspartner Stillschweigen vereinbart.

Kommt denn am Ende auch etwas bei den Vereinen an?

Mallwitz: Auf alle Fälle. Meines Wissens gibt es einen festen Schlüssel, alle Vereine bekommen den gleichen Betrag. Aber bei dieser Frage ist der NOFV der bessere Ansprechpartner.

Aus den Profiligen dringen die Rechteinhaber auf die Filettierung des Spielplans, um mehr Live-Spiele zu zeigen – zum Unmut der aktiven Fans. Drohen der Regionalliga Nordost in Zukunft auch Montagsspiele?

Mallwitz: Ehrlich gesagt haben wir darüber noch gar nicht nachgedacht. Klassische Spieltage sind also freitags bis sonntags. Aber persönlich denke ich, dass ein Spiel am Montagabend schon denkbar wäre. Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Ich kenne die Debatten in den Fanszenen. Mein Sohn war ein paar Jahre lang Allesfahrer bei Hertha. Wenn du freitags in die Schule, zur Ausbildung oder zur Arbeit musst, und deine Mannschaft spielt 20 Uhr 500 Kilometer weit entfernt, ist das natürlich ein Problem. Für mich als Fußballfan war es aber immer toll, über das gesamte Wochenende hinweg Live-Spiele sehen zu können. In meinen über 20 Berufsjahren bei DSF beziehungsweise Sport1 und Premiere/Sky habe ich auch viele Montagsspiele kommentiert. Es gab oft Kritik daran, aber gerade das Montagsspiel in der 2. Bundesliga ist später regelrecht zum Kult geworden – die Flutlicht-Atmosphäre, die uneingeschränkte Aufmerksamkeit der fußballinteressierten Öffentlichkeit auf nur diesem einen Spiel. Angenommen, Carl Zeiss Jena und Rot-Weiß Erfurt würden in der 2. Liga am Montagabend das Thüringen-Derby spielen, dann würde ganz Fußballdeutschland zuschauen. Man darf auch nicht unterschätzen, was das für eine Reichweite für die Vereine und ihre Sponsoren bedeutet.

Was erwartet Fans auf OSTSPORT.TV konkret?

Mallwitz: OSTSPORT.TV wird die zentrale Anlaufstelle für die Regionalliga Nordost – ob am Computer, auf dem Smart-TV oder dem Smartphone. An der konkreten Umsetzung arbeiten wir gerade intensiv. Wir brauchen natürlich sehr starke Serverkapazitäten. Die Seite wird so strukturiert sein, dass nach Vereinen und nach Spieltagen gefiltert werden kann. Die Spielberichte können on demand abgerufen werden, also während der kompletten Saison immer verfügbar sein. Die Live-Spiele wird es aber nicht als Re-Live geben, weil das die Kapazitäten sprengen würde.

Pro Live-Spiel streben wir mindestens fünfstellige Abrufzahlen an.

Wie viele Fans müssen einschalten, damit sich das für sie rechnet?

Mallwitz: Pro Live-Spiel streben wir mindestens fünfstellige Abrufzahlen an. Vereine wie Chemie, Lok, Jena, Energie Cottbus, Chemnitzer FC, BFC Dynamo und Babelsberg werden wohl am häufigsten live zu sehen sein. Nach aktuellem Stand werden wir mit zwei Produktionsfirmen zusammenarbeiten, die das für uns umsetzen werden. Es wird sicher nicht so laufen wie in den Neunzigern bei Sat.1, als für das neue Format „ran“ zahlreiche Top-Kommentatoren eingekauft wurden. Dafür fehlt uns das Budget, das noch nicht genau feststeht. Die Höhe ist auch davon abhängig, wie viele Sponsoren wir gewinnen können.

Welchen personellen und technischen Aufwand werden Sie in den Stadien betreiben?

Mallwitz: Wir werden mit einem Kommentator und mehreren Kameras in jedem Stadion sein. Sicher ist, dass ich Spiele kommentieren werde, weil ich große Lust darauf habe und weil es auch mein Projekt ist. Und dann werden wir sicherlich noch weitere Kommentatoren einkaufen. Die Spiele werden wir in drei Kategorien einteilen. A-Spiele wie Derbys und Spitzenbegegnungen werden mit sechs festen Kameras live gezeigt und einer weiteren freibeweglichen Kamera, etwa vor den Trainerbänken. B-Spiele sind sportlich attraktive Spiele, die aber nicht live gezeigt werden. Dort sind wir mit fünf Kameras vor Ort. C-Spiele sind dann die am wenigsten interessanten Begegnungen, die wir mit einer Führungskamera und zwei Chip-Kameras hinter den Toren aufzeichnen. Wir bieten also mindestens drei Kameras und stellen uns da nicht mit dem iPhone auf die Tribüne. Und keine Sorge: Es wird keine Senderegie geben, die Werbung einspielt. Auch werden wir kein eigenes Studio aufbauen. Das wäre zu viel Aufwand.

Planen Sie mit Interviews am Spielfeldrand? Und Vor- und Nachberichterstattung?

Mallwitz: Wir werden Interviews führen und sie auch auf unserer Seite verwerten. Für die Inhalte werde im wesentlichen ich verantwortlich sein, und insofern wird es auch eine kleine Redaktion geben. Wir denken auch über weitere redaktionelle Berichterstattung nach, wenn ein großes Spiel ansteht. Wir sind ja ohnehin in den Stadien und können Spieler und Vereinsverantwortliche vors Mikrofon holen. Wenn Chemie gegen Lok spielt, können wir zum Beispiel Hans-Jörg Leitzke fragen, wie es früher beim Derby zugegangen ist. Bei Live-Spielen starten wir kurz vor Anpfiff die Übertragung, geben eine kurze Einführung und sprechen über die Aufstellungen. Wie das dann genau optisch umgesetzt wird, ist noch in der Planung.

Planen Sie auch, Landespokal-Spiele zu übertragen?

Mallwitz: Wir haben nur die Rechte an der Regionalliga Nordost erworben, für die Landespokale sind die jeweiligen Landesverbände zuständig. Aber wir sind grundsätzlich offen für alles und ja, wenn sich die Gelegenheit ergeben sollte, ein attraktives Spiel im Landespokal zu übertragen, würden wir die nicht liegen lassen.

Die OSTSPORT.TV GmbH hat ihren Sitz in Magdeburg. Dort gibt es aber gar keinen Regionalligisten. Sie wollten mit Ihrer Standortentscheidung doch nicht etwa einen möglichen Drittliga-Abstieg des Europapokal-Siegers von 1974 vorwegnehmen?

Mallwitz: So sollte das natürlich nicht verstanden werden. Magdeburg liegt im Herzen von Sachsen-Anhalt, eine der Produktionsfirmen, mit denen wir zusammenarbeiten wollen, sitzt in Magdeburg. Das passt einfach. Wir werden dort ein Büro aufbauen. Übrigens war ich als Kind riesengroßer Fan des 1. FCM. Mein Kinderzimmer war mit Fotos zugekleistert, die ich aus der FuWo ausgeschnitten habe, von Jürgen Pommerenke, Joachim Streich und Martin Hoffmann. Insofern wünsche ich dem FCM immer alles Beste! Aber ja, natürlich würde der 1. FC Magdeburg die Regionalliga noch einmal extrem aufwerten. Aktuell sieht es aber so als, als würde die Mannschaft die Kurve kriegen.

Das erste Feedback war sehr positiv.

Wie sind die bisherigen Reaktionen der Regionalliga-Klubs auf OSTSPORT.TV?

Mallwitz: Ich war in der Videokonferenz mit dabei, als die Vereine über den Saisonabbruch gesprochen haben, und habe unser Konzept vorgestellt. Das erste Feedback war sehr positiv. Als erstes kam natürlich die Frage nach dem Geld, das ist klar. Wichtig war auch, ob es eine Bezahlschranke geben wird. Ein weiteres Thema war, inwiefern unsere Produktionen auf den Vereins-Webseiten eingebunden werden und von Vereinssponsoren präsentiert werden können. Das ist möglich und auch vertraglich so fixiert. Das ist natürlich keine riesengroße Nummer, aber doch ein schöner Service, den es für die Vereine bislang noch nicht gab.

Das werden auch alle Fans hoffen, die nicht bei jedem Spiel dabei sein können, wie ich als Chemiker in Berlin. Ich bin gespannt, wie sich Ihr Projekt entwickelt.

Mallwitz: Grüßen Sie mir die Chemie-Fans. Ich freue mich, nach so langer Zeit mal wieder nach Leutzsch zu kommen.