Profi-Gehälter in der Amateurliga

In den Spitzenclubs der Regionalliga Nordost verdienen Profispieler im Durchschnitt bis zu 6.500 Euro brutto im Monat – zehnmal so viel wie bei den Amateurvereinen.

Der Chemnitzer FC führt sich auf wie ein Spielsüchtiger am Roulettetisch. Wenn das Geld knapp wird, und das ist im einstigen Karl-Marx-Stadt mittlerweile Dauerzustand, ist es Zeit, wieder all-in zu gehen. In Chemnitz scheint man es für eine gute Strategie zu halten, Löcher in der Vereinskasse mit verheißungsvollen Neuzugängen und der Hoffnung auf sportlichen Erfolg zu kaschieren. Nach dem zweiten Abstieg aus der 3. Liga in drei Jahren soll es einmal mehr mit einer gut bezahlten Profitruppe zurück nach oben gehen.

Die Wette auf die Zukunft ist riskant. Das Insolvenzverfahren, das vor mehr als zwei Jahren eröffnet wurde, läuft noch immer. Um es abzuschließen, sind kurzfristig 450.000 Euro nötig. Andernfalls bliebe der Schuldenberg unverändert bestehen – und dürfte den Karl-Marx-Nischel bald als Chemnitzer Wahrzeichen ablösen. Davon abgesehen scheint es aber kein Problem zu sein, für die Mission Wiederaufstieg einen Millionenetat aufzustellen. Daran hat offenbar auch die Corona-Krise nichts geändert. Von der Taktik „Alles oder nichts“ mag man in Chemnitz besonders besessen sein, aber in der Regionalliga Nordost ist das kein Alleinstellungsmerkmal.

Diese Liga ist sonderbar. Fernab überregionaler Aufmerksamkeit und des großen Geldes geht es in der Regionalliga Nordost um existenzielle Fragen. Für Vereine, Spieler wie Fans ist das Niemandsland zwischen Profi- und Amateurfußball eine ewige Gratwanderung – zwischen Aufstiegsambitionen, von denen es mitunter nicht weit ist bis zu institutionalisiertem Größenwahn, und sportlicher Bescheidenheit, wobei jederzeit der Absturz in die Bedeutungslosigkeit droht.

Beim Chemnitzer FC plant man für die neue Spielzeit mit einem Etat von zwei Millionen Euro für die erste Mannschaft. Zumindest finanziell sollte das für einen Spitzenplatz reichen. In den vergangenen Spielzeiten konnten die Top-Teams über ähnliche Summen verfügen. Als es in der Sommerpause 2019 bei Energie Cottbus darum ging, eine aufstiegsreife Mannschaft zusammenstellen, forderte der damalige Trainer Pele Wollitz 2 bis 2,5 Millionen Euro – allein für die erste Mannschaft. Die Teams von Lok Leipzig, Rot-Weiß Erfurt und Wacker Nordhausen, allesamt Profimannschaften, sollen in der Saison 2019/20 ähnlich gut ausgestattet gewesen sein. Carl Zeiss Jena, neben Chemnitz zweiter Drittligaabsteiger aus dem Nordosten, plant in der neuen Saison für die erste Mannschaft mit 1,5 Millionen Euro.

Wer in der Regionalliga nicht ein paar Millionen auftreiben kann, braucht es also gar nicht erst zu versuchen mit dem Aufstieg. Was es für ein Wagnis ist, im viertklassigen Fußball mit diesen Summen zu hantieren, zeigt der tiefe Fall von Rot-Weiß Erfurt und Wacker Nordhausen. Die insolventen Erfurter rechneten nach dem Abstieg in die Regionalliga 2018 sogar mit 3,5 Millionen Euro – allerdings für den gesamten Verein. Und bei den ebenfalls bankrotten Nordhäusern stehen Forderungen in Höhe von sage und schreibe elf Millionen Euro nur eine Million Euro an Vermögen gegenüber. Wie es dazu kommen konnte, können allein Gips-Millionär Carlo Knauf und Wackers Ex-Präsident Nico Kleofas erklären. Es scheint so, als wäre der unterklassige Fußball nicht nur ein lukratives Betätigungsfeld für Insolvenzverwalter, sondern auch für geltungsbewusste Glücksritter mit Hang zu krimineller Energie.

Ein mit Geld vollgepumpter Kader allein garantiert jedenfalls noch keinen Aufstieg, ja, noch nicht einmal einen Spitzenplatz. Wieviel die Nordost-Regionalligisten für ihre Spieler ausgeben, ist schwer zu ermitteln. Und selbst wenn alle Vereine so freimütig mit ihren Zahlen umgingen wie Chemnitz, Cottbus oder Jena, wäre ein Vergleich schwierig. Ausgegliederte Kapitalgesellschaften sind dazu verpflichtet, ihre Jahresabschlüsse offenzulegen. Aber bei den reinen Amateurclubs können im Zweifel wohl nicht einmal die Vorstände beziffern, wieviel ihre Spieler tatsächlich verdienen. Nicht selten werden sie direkt von Sponsoren finanziert, in klassische Jobs vermittelt oder mit Sachzuwendungen entlohnt, wie Wohnung, Auto oder Bierkisten.

Jedenfalls sind es neben den ganz großen Vereinen vor allem die kleinen, die bereitwillig übers Geld reden. Bei Lichtenberg 47, Optik Rathenow oder mit Abstrichen auch Babelsberg 03 war in der vergangenen Saison bei Etats von jeweils um die 300.000 Euro für Profikicker nicht viel zu holen. Fußball wird hier zum Nebenjob, tagsüber geht es ins Büro, zum Außendienst oder in den Hörsaal.

Es grenzt an einen unauflösbaren Widerspruch, dass diese Feierabendtruppen mit den für Viertligaverhältnisse hochdotierten Fußballprofis sportlich streckenweise gut mithalten können. Sofern die zwei Millionen Euro in Chemnitz vollständig in Spielergehälter fließen, stehen bei einem 22er Kader pro Vollprofi und Monat ungefähr 7.500 Euro zur Verfügung. Abzüglich der Lohnnebenkosten für den Arbeitgeber würde sich daraus ein Durchschnittsgehalt von rund 6.500 Euro brutto ergeben – etwa zehnmal so viel wie in Lichtenberg oder Rathenow.

Auch die Spieler der BSG Chemie Leipzig brauchen angesichts eines überschaubaren Nebenverdiensts viel Hingabe und Leidenschaft, um ihre Knochen für Verein und Fans hinzuhalten. Bei Tom Nattermann, der sich selbst noch im vergangenen Jahr zum „Chemiker“ mit „grün-weißem Herz“ erklärte, ging die Liebe nicht weit genug. Trotz eines Angebots aus Leutzsch unterschrieb der Ex-Babelsberger lieber bei Erzrivale Lok Leipzig. Der Corona-Meister ist auch nach dem Scheitern in der Aufstiegsrelegation offenbar potent genug, Spieler mit attraktiven Gehältern zu locken, allen anderslautenden Beteuerungen zum Trotz. Das großangelegte Stühlerücken in Probstheida gibt jedenfalls kaum Anlass zu glauben, dass dort deutlich weniger Geld ausgegeben wird als zuvor.

Die Regionalliga Nordost ist eine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Es gibt eine Handvoll Teams mit großer Fanbasis, die unbedingt hoch wollen: der Chemnitzer FC, Energie Cottbus, Carl Zeiss Jena und Lok Leipzig. Im Kampf um den einzigen Aufstiegsplatz 2021 werden auch die ambitionierten Hauptstadt-Mannschaften VSG Altglienicke, Viktoria Berlin und Berliner AK mitreden wollen. Diese Vereine sind Blackboxes, was ihre Finanzen angeht. Mit Blick auf Transfers und Kader sollte aber klar sein, dass in Berlin ganz gut gezahlt wird – auch wenn die Spiele dieser Mannschaften nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Das gilt auch für die Zweitvertretung von Hertha BSC. Die Hertha-Bubis können auf die hervorragende Bundesliga-Infrastruktur zurückgreifen. Am Geld fehlt es keineswegs, schon gar nicht in Zeiten des millionenschweren Engagements der Tennor-Gruppe um Investor Lars Windhorst, wohl aber an Ambitionen: Herthas Zweite fühlt sich wohl in der Regionalliga und will es nicht auf einen Aufstieg ankommen lassen.

Auch bei den übrigen Clubs geht es vor allem darum, die Liga zu halten. Die Mittel sind meist bescheiden, aber nicht überall. Zum Überraschungsteam könnte der ZFC Meuselwitz werden. Die Zipsendorfer, die sich ehrlicherweise besser in Betriebssportgemeinschaft Bluechip umbenennen sollten, stehen wie kein anderer ambitionierter Verein in Thüringen für finanzielle Solidität und hohe Zahlungsmoral, was gerade in Corona-Zeiten ein gutes Argument bei Vertragsverhandlungen sein sollte. Der Gesamtetat liegt bei rund einer Million Euro, zwei Drittel davon werden für den Regionalliga-Fußball aufgewendet.

Am Ende werden sich die zum Teil beträchtlichen Investments in Spielerbeine nur für einen Verein mit dem Aufstieg bezahlt machen. Die neue Saison wird eine in jeder Hinsicht außergewöhnliche, nicht nur, weil das Teilnehmerfeld so stark und attraktiv wie niemals zuvor ist. Die kommenden Monate werden im Zeichen der vielen Ungewissheiten der Corona-Krise stehen. Wenn es nach den zahlreichen Insolvenzen der vergangenen Jahre ausgerechnet in dieser Saison keine weiteren Pleiten geben sollte, wäre das eine Sensation.