Es ist der 03.06.1995, der Verfasser dieser Zeilen war 14 Jahre jung und fing gerade mit seinem hart verdienten Autowaschgeld damit an, eigenständig Chemie-Spiele zu besuchen. Die Helden auf dem Platz hatten so stolze Namen wie: Hans-Jörg Leitzke, Carsten Klee, Steffen Hammermüller, Jens König, Carsten Sänger und alle hörten sie auf Coach Joachim Steffens. Der die Mannschaft und uns Fans vom Aufstieg in Liga 2 hat träumen lassen. Obwohl man die meiste Zeit der Saison 1994/95 auf Platz 2 verbrachte, war der Optimismus rund um den Alfred-Kunze-Sportpark ungebrochen, denn am Spieltag zuvor schlug man noch das von Eduard Geyer trainierte Team aus Cottbus, trotz 0:1 Rückstand, souverän mit 3:1.
Am besagten Tag X ging es dann auch schon ganz früh mit dem Fahrrad von Großpösna aus Los nach Fuchshain, zum dortigen Fußballplatz. Welchen ich immer noch als Grün-Weiße Oase, in mitten des blau gelben Einzugsgebietes, in Erinnerung hab. Dort trafen sich dann etwa 20 Chemiker und ein paar Wismut Aue-Fans, die sich erstmal mit ein paar Flaschen Pfeffi und Bier, Mut angetrunken haben. Was mir eher nicht so gut bekam, aber dazu später mehr. Nachdem dann geklärt war, wer mit wem fährt und die Chemie Schals gut sichtbar an den Autos angebracht waren, ging die Fahrt los.
Während der Fahrt kreisten die Pfeffiflaschen weiter durch die Reihen, was zur Folge hatte, dass die erste Pause nicht lange hat auf sich warten lassen. Denn dem kleinen 14jährigen Schreiberling hier, ging es auf einmal gar nicht mehr so gut. So kam es dann auch, wie es kommen musste und mir schauten erwachsene Leute beim kotzen auf der Raststätte zu. Die danach nicht müde wurden zu betonen, dass ich doch ab jetzt bitte langsamer machen soll. Nachdem man dann nochmal über die Sitzordnung in den einzelnen Autos philosophiert hatte, an deren Ende ich vom Ford Scorpio in den Wartburg verfrachtet wurde, ging es auch schon weiter. So zweieinhalb Stunden später erreichten wir dann Jena-Paradies, wo schon Unmengen an Chemikern ungeduldig an den Toren des Ernst-Abbe-Sportfelds warteten. Inzwischen wieder ein wenig ausgenüchtert, traute man sich sogar mir den letzten Schluck Pfeffi zu geben, bevor es rein ging.
Im Auswärtsblock angekommen, war ein Gedrängel, wie ich es davor noch nie erlebt hatte. Die Stimmung war gerade zu elektrisierend und niemand hatte Zweifel daran, dass wir den Sieg holen und damit den Aufstieg in Liga 2 perfekt machen. Zwar schien Carl Zeiss in der Saison, gerade hinten raus, unschlagbar und auch im Heimspiel kamen wir nicht über ein 0:0 gegen die von Eberhard Vogel trainierte Mannschaft hinaus. Aber dieser Tag lies keinen Platz für Zweifel. Heute konnte nur Chemie aufsteigen. Denn noch beim oben erwähnten Heimspiel gegen Cottbus, war es der ehemalige Jenaer Carsten Klee, der uns am Dammsitz alle Sorgen nahm. „Wir gewinnen in Jena und steigen auf, macht euch keinen Kopf!“.
Was sollte an diesem magischen Tag also schief gehen? Dass es dann aber doch anders kam, als es eigentlich kommen sollte ist Geschichte und wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, waren wir an diesem Tag auch völlig chancenlos. Der Druck war wohl einfach zu groß und Jena einfach zu gut für uns, zumindest an diesem Tag. So flossen also schon vor dem Abpfiff die Tränen und auch ich war schwer getroffen. „Trotz und gerade wegen solcher Niederlagen ist man Chemiker“, war an diesem Tage gern genommene Phrase, wenn es drum ging seinen Nachbarn zu trösten. Ich wusste ja damals noch nicht, wie oft ich eben jene Phrase selbst zitieren werde in den darauffolgenden Jahrzehnten.
Die Rückfahrt verlief dann verständlicherweise eher ruhig und auch die Schals an den Autos hingen eher nur noch auf Halbmast. Wieder in Fuchshain angekommen, wurde die Laune langsam besser. Was aber auch daran lag, dass der ortsansässige Kneiper uns schon mit Pfeffi erwartete, wovon alle Gebrauch machten. Der Abend verlief dann noch feuchtfröhlich und ab einem gewissen Moment setzten meine Erinnerung von diesem Abend aus. Alles was ich noch weiß ist, das ich am nächsten Morgen, am Rand des Fußballplatzes aufwachte und neben mir noch zwei weitere Leidensgenossen lagen, die den Abend aber auch nur noch bruchstückhaft in Erinnerung hatten. So schwang ich mich dann also nach der Verabschiedung auf mein Fahrrad und fuhr bei Gegenwind über Feldwege zurück nach Großpösna, wo mein Vater (Clubschwein) schon auf mich mit einer ordentlichen Standpauke wartete, die dann mit den Worten endete: „Ich wusste doch schon vorher dass ihr verliert.“
Leider klopften wir seit diesem 03.06.1995 nie wieder ans Tor zur zweiten Liga an. Auch wenn wir in den nächsten Jahren mit Sachsenpokalsiegen und den dazugehörigen DFB-Pokalspielen immer mal wieder aufhorchen konnten. So knapp wurde es allerdings nie wieder. Doch die Erinnerung daran bleibt.
Der Blick in die Zukunft ist positiver denn je und wer weiß es schon… Vielleicht heißt der deutsche Meister 2064 ja „BSG Chemie Leipzig“. In dem Sinne: