Dem Virus trotzen: Warum die Regionalliga Geisterspiele online vermarkten sollte

Die Regionalliga Nordost sollte alles dafür tun, dass künftig auch bei einem erneuten Lockdown der Ball rollt – notfalls ohne Zuschauer. Eine Online-Vermarktung könnte zusätzliche Einnahmequellen erschließen.

Resignation, Verständnis, Trotz – der Regionalliga-Lockdown hat in mir widersprüchliche Gefühle ausgelöst. Die Pandemie diktiert nicht nur den Spielplan, sondern unser gesamtes gesellschaftliches Leben. Das Virus ist in jeder Hinsicht teuflisch. Es tötet Menschen, es vernichtet Wohlstand und es spaltet die Gesellschaft. Ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass drastische Maßnahmen notwendig sind, um Corona zu besiegen. Auch wenn der Kampf gegen das Virus zahllose Ungerechtigkeiten provoziert, die nicht aufzulösen sind. Im Fußball etwa ist es die Frage, warum die Profis weiterspielen können, während die Amateure nicht einmal mehr trainieren dürfen. Aber darum soll es jetzt nicht gehen. Wir sind mittendrin zu lernen, mit dem Virus zu leben, und das gilt auch für das Unterhaus des Profifußballs. Ich sage: Der Nordostdeutsche Fußballverband (NOFV) und die Vereine sollten nichts unversucht lassen, um auch unter Lockdown-Vorgaben den Spielbetrieb aufrechtzuerhalten und damit das Fortbestehen der Regionalliga Nordost zu sichern.

In diesen Tagen geht es in vielen Branchen um die Existenz – auch und gerade im viertklassigen Fußball. Weil die Etats anders als bei den Profis mit der hochdotierten TV-Vermarktung zu beträchtlichen Teilen aus den Zuschauereinnahmen gestemmt werden, haben sich die Klubs schon im Frühjahr gegen eine Fortsetzung der Saison mit Geisterspielen ausgesprochen. Ich halte das für viel zu kurz gedacht. Sicher, Spiele vor leeren Rängen sind ein Minusgeschäft. Aber bei der Rechnung wird unterschlagen, dass ein möglicherweise wiederholt über Wochen ausgesetzter Spielbetrieb weitaus höheren Schaden anrichten kann. Je länger der Ball ruht, desto größer ist die Gefahr, dass Fans und Sponsoren nicht wieder zurückkommen, wenn das Virus einmal besiegt sein sollte. Und niemand kann garantieren, dass das schon 2021 gelingen könnte – oder aber weitaus länger dauert.

Mit dem Virus leben zu lernen heißt, die von Grund auf veränderten Gegebenheiten anzunehmen und neue Strategien zu entwickeln, um den Fußball, wie wir ihn kennen, zu erhalten und vielleicht sogar ein bisschen besser zu machen. Für die Regionalliga sollte ein Weg gesucht werden, den Spielbetrieb im Falle weiterer Lockdowns notfalls auch ohne Zuschauer aufrechtzuerhalten und neue Einnahmequellen zu erschließen. 

Wie es gehen kann, hat der MDR vorgemacht. Die öffentlich-rechtliche Sendeanstalt hat in den vergangenen Monaten zahlreiche Regionalliga-Begegnungen per Livestream online übertragen. Der Aufwand dürfte sich in Grenzen gehalten haben. In der Regel bietet der MDR nur eine Kameraeinstellung und verzichtet auf Zeitlupen. Umso größer sollte der Zuschauerzuspruch sein, auch wenn offizielle Zahlen bislang nicht bekannt sind. Die Videobeiträge mit Spielberichten des MDR-Formats „Sport im Osten“ kommen bei YouTube regelmäßig auf vierstellige Abrufzahlen, dazu addiert sich eine unbekannte Zahl an Klicks auf der sendereigenen Plattform. Es wäre nicht übertrieben, davon auszugehen, dass die Chemie-Spiele gegen Jena oder Chemnitz fünfstellige Abrufzahlen generiert haben dürften. 

Die sich daraus ergebende Reichweite ist enorm. Die Vereine und ihre Sponsoren können online also ein weitaus größeres Publikum erreichen als im Stadion. Würden standardmäßig alle Spiele übertragen, ließe sich der Werbewert beträchtlich steigern. In der Nordost-Staffel spielen viele Vereine mit großem Namen und großer Anhängerschaft, die auch überregional Interesse auf sich ziehen. Dagegen ist es ein denkbar schwaches Argument, dass sich Online-Übertragungen nur für die populären Vereine lohnen würden – andernfalls sollten nicht nur die kleinen Klubs wie Bischofswerda oder Rathenow sofort den Spielbetrieb einstellen, sondern auch die VSG Altglienicke, die allesamt auch in nicht-pandemischen Zeiten immer nur ein paar Hundert Fans ins Stadion locken können. Es ist nicht plausibel, dass sich Regionalliga-Fußball mit Zuschauerzahlen wie in der Kreisklasse zwar als Stadion-Event rechnen soll, nicht aber als Online-Stream. Eine gut umgesetzte Online-Vermarktung könnte neben indirekten auch direkte Einnahmen erzielen, etwa durch virtuelle Tickets oder auf Spendenbasis.

Was die sportliche Attraktivität angeht, fehlt der Regionalliga Nordost nicht viel zur 3. Profi-Liga. Und auch strukturell ist der Unterschied kleiner, als der offizielle Amateurstatus der Regionalliga vermuten ließe. Die meisten Regionalliga-Klubs setzen auf hauptamtliche Mitarbeiter. Vereine wie Chemnitz, Cottbus oder Jena stecken jedes Jahr Millionen in ihre Kader. Tabellenführer Viktoria Berlin rühmt sich dafür, der größte Nachwuchsverein Deutschlands zu sein, aber mit Breitensport haben die Drittliga-Ambitionen der Lichterfelder ähnlich viel zu tun wie eine biedere Doppelhaushälfte in der Vorstadt mit einer besetzten Mietskaserne im Friedrichshain. Dass Vereine ausschließlich Feierabendfußballer aufs Spielfeld schicken, ist eher die Ausnahme. Und selbst in diesen Vereinen werden schon mal Millionensummen bewegt, schließlich erzielte die BSG Chemie Leipzig 2018 einen Umsatz in Höhe von 2,5 Millionen Euro. Es gibt also gute Argumente, in den semi-professionellen Strukturen in der Regionalliga Nordost einen relevanten Wirtschaftszweig zu erkennen. Und das wäre entscheidend, um von der Politik das Sonderrecht zu erhalten, auch unter einem teilweisen Lockdown weiterspielen zu können.

Ein Selbstläufer ist das nicht. Die Deutsche Fußball-Liga (DFL) brauchte viel Überzeugungsarbeit, um im Mai den Spielbetrieb der drei Profiligen wieder aufnehmen zu können. Ich persönlich habe das damals sehr kritisch gesehen. Es erschien mir vermessen in einer Zeit, als Kitas und Schulen geschlossen hatten und an Vereinssport nicht zu denken war. Aber je länger das Virus wütet, desto stärker wächst in mir die Überzeugung, dass man sich nicht in Lethargie ergeben darf, sondern aktiv nach Lösungen suchen muss, um den gravierenden Folgen der Pandemie zu trotzen. Die DFL hat unter dem scheidenden Geschäftsführer Christian Seifert einen exzellenten Job gemacht: Sie vertrat die Interessen der Vereine, die bei Nichterfüllung der lukrativen TV-Verträge reihenweise in die Pleite gerutscht wären (und vereinzelt weiterhin vor dem Bankrott stehen). Seiferts Lobbyarbeit und das ausgeklügelte Hygienekonzept, das in alle Welt exportiert wurde, haben den Profiligen vorerst das Überleben gesichert.

Wie es mit der Regionalliga weitergeht, ist dagegen ungewiss. Der NOFV und die Vereine sind gefordert, eine Antwort auf drängende Fragen zu finden: Ist der straffe Terminplan der aufgeblähten Staffel überhaupt zu halten? Wie kann die Integrität des sportlichen Wettbewerbs gewahrt werden, wenn reihenweise Spiele wegen Corona-Infektionen verschoben werden müssen? Wenn im November die Klubs aus Brandenburg weiterhin trainieren dürfen, während das in Sachsen verboten ist? Was passiert, falls im Dezember doch nicht wieder gespielt werden kann oder im Januar der nächste Lockdown ansteht?

Das Corona-Virus wird so schnell nicht verschwinden. Wir müssen uns darauf gefasst machen, dass es noch über Monate gravierende Einschränkungen geben wird, wenn nicht über Jahre. Die Regionalliga-Vereine dürfen nicht noch einmal den Fehler machen und sich gegen Geisterspiele aussprechen. Stattdessen sollte darin eine Chance gesehen werden, zusätzliche Einnahmequellen zu erschließen. Verband und Vereine müssen diese Möglichkeit ergebnisoffen prüfen und diskutieren. Und es liegt in ihrem Interesse, sich gegenüber Politik und Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen. Es gilt mit dem Missverständnis aufzuräumen, dass in der Regionalliga Amateursport betrieben werde. Außerdem sollte der Staat nach dem Vorbild Nordrhein-Westfalens auch viertklassigen Fußballvereinen finanziell beispringen. Dafür ist es wichtig, mit einer Stimme zu sprechen. Andernfalls könnte auch die Regionalliga Corona zum Opfer fallen.