Warum Geisterspiele in der Regionalliga keine Option sind

Da ist er also, der zweite Lockdown, der sogenannte Wellenbrecher-Lockdown. Corona war nie wirklich weg und zeigt sich jetzt wieder mit voller Härte, sodass die Regierung mal wieder nicht um Maßnahmen herumgekommen ist. Wieder einmal hat es den Fußball und insbesondere den Amateurfußball hart getroffen und der Spielbetrieb muss im November eingestellt werden.

Dieser Umstand löste unter uns Chemiekanten einige Diskussionen aus und es bildeten sich mehrere Positionen zum Umgang der Regionalliga Nordost mit der Situation heraus. Der Chemieblogger hat euch mit dem Text: „Dem Virus trotzen: Warum die Regionalliga Geisterspiele online vermarkten sollte“ ja schon eine Position dargelegt. Ich möchte gern die andere Sicht einnehmen: Geisterspiele in der Regionalliga sind nicht durchführbar!

Es geht ein Gespenst um im Osten

Geisterspiele in der Regionalliga, kann das funktionieren? Geisterspiele in Leutzsch, ist das vorstellbar? Leutzsch, das kann für mich nur mit Zuschauern funktionieren. Der Alfred-Kunze-Sportpark ist einer der größten Vorteile, den die BSG Chemie in dieser Liga hat. Dieses enge Stadion, wo der Zuschauer direkt an der Seitenlinie steht und die Gegner jeden Spruch, jeden Kommentar hören bzw. beim Einwurf unter Umständen auch mal einen Arm zu spüren bekommen, das ist für mich die Leutzscher Hölle. Die Gästeteams sollen schon mit gehörigem Respekt anreisen und am Ende völlig entnervt wieder heimfahren. Ich glaube, dass die Zuschauer im AKS durchaus Einfluss auf das Spiel nehmen können und das finde ich geil. Deshalb wären Geisterspiele für unsere BSG Chemie ein erheblicher Wettbewerbsnachteil, meiner Meinung nach.

Doch auch fernab dieser fanromantischen Sicht gibt es Argumente, warum das nicht funktionieren kann. Dazu möchte ich aber zuerst einmal auf den Profifußball blicken, wo Geisterspiele ja durchaus funktionieren.

Geisterspiele im Profifußball

Das funktioniert dort, weil Profiligen überwiegend von Zuschauern und Fans profitieren, die im ganzen Land, um nicht zu sagen auf der ganzen Welt verteilt sind. Dementsprechend gibt es eine immense Nachfrage, die Spiele verfolgen zu können, was dazu führt, dass mehrere Bewerber darum rangeln, die Spiele zu übertragen. Dementsprechend gibt es mit DAZN, Sky, der ARD mit der Sportschau, den lokalen Sendern sowie der Telekom und Sport 1 eine Menge Anbieter, die bereit sind, für die Ausstrahlung ganzer Spiele oder von Spielzusammenfassungen der ersten bis dritten Liga viel Geld auszugeben.

Das meiste Geld wird in benannten Ligen durch die Einnahmen aus der TV-Vermarktung generiert. Entsprechend wichtig war und ist es, dass Spiele stattfinden und die Verwerter das Geld überweisen. Der Profifußball betreibt dafür einen immensen Aufwand, mit umfangreichen Hygienekonzepten für Mannschaften, Betreuer, Operationsteams sowie an der Fernsehübertragung beteiligten Menschen. Den Kern dieser Hygienekonzepte stellen die regelmäßigen, jeweils dem Pandemiegeschehen angepassten Testungen dar. Da werden schon einmal für ein Champions League Spiel bis zu 93 Menschen drei mal die Woche getestet, um Coronaerkrankungen frühzeitig zu erkennen und eine Verbreitung des Virus zu vermeiden. Dies gelingt dem Profifußball meistens, weshalb wegen Coronainfektionen abgesagte Spiele eher selten sind (eins in Liga zwei, fünf in Liga 3 in der Saison 20/21 (Stand: 3.11.20)). Mittlerweile stehen Absagen in der Champions League nicht mal mehr zur Option oder sind Notnagel, da die Kader im Profifußball groß genug sind, um wenigstens 13 Spieler zusammen zu bekommen.

Dennoch sprechen Vereine wie Bayern oder der BVB, trotz der bezahlten Geisterspiele, von Verlusten im Bereich von 60 bis 80 Millionen Euro. Das setzt sich vor allem aus den fehlenden Zuschauereinnahmen und verringerten Gastro- und Merchandise-Einkünften zusammen.

Eventuell kann man das damit erklären, dass Spiele ohne Fans selbst für den Fernsehzuschauer uninteressanter geworden sind und die Pandemielage finanziell auch bei den Menschen einschlägt und deswegen weniger Fanartikel abgesetzt werden. Mittlerweile wird sogar diskutiert, ob der Profifußball je wieder regelmäßig volle Stadien haben wird, weil viele Fans sich aufgrund der fehlenden Attraktivität und des unmöglichen Stadionbesuchs entwöhnt haben. Fakt ist, dass Geisterspiele nachweislich auch zu einer allgemeinen Entschleunigung des Fußballevents geführt haben.

Geisterspiele in der Regionalliga

Neue Realität im AKS? © Höllenreiter

Unter dem Profifußball beginnt gemäß den Statuten des NOFV der Amateurfußball, zu dem auch die Regionalliga Nordost gehört. Natürlich sind nicht alle Vereine in der Regionalliga Amateurclubs, deren Spieler nach Feierabend noch ein bisschen kicken. Aber, und das muss man ganzheitlich betrachten, sprechen wir auch nicht von einer Liga, in der alle Spieler ihr Geld hauptamtlich mit Fußballspielen verdienen.

Wir haben es in der Regionalliga überwiegend mit mitgliederbasierten eingetragenen Vereinen zu tun, die eben nicht auf einem Firmenmodell einer GmbH oder einer AG gegeründet sind, sondern auf die Mitwirkung der Mitglieder und Fans angewiesen sind. Fans eines Amateurvereines entscheiden sich ja oft ganz bewusst für einen Fußball, den sie nicht im Fernsehen konsumieren können und der von ihrer Beteiligung, sei es durch Stadionbesuche oder Vereinsarbeit, profitiert. Auch wenn es mancherorts wenige sind, haben dennoch alle Vereine in der Regionalliga Nordost Fans, welche sich zumeist lokal verankern. Vereine wie Chemie, Cottbus, Chemnitz und der Ortsrivale, die eine größere überregionale Fanbase haben, stellen da eher die Ausnahme da. Deshalb kann das Fernsehinteresse auch nicht annähernd so hoch sein wie im Profifußball. Nun hat der Chemieblogger ja dargelegt, wie die Nutzer- und Klickzahlen der MDR-Berichterstattung so aussehen könnten. Jedoch stellt es für mich einen bedeutenden Unterschied dar, ob dort ein Spiel von Chemie, Chemnitz oder einem ähnlichen Traditionsverein gestreamt wird oder die Partie zwischen Auerbach und Bischofswerda oder Optik Rathenow gegen Luckenwalde. Denn eine überregionale Attraktivität live übertragener Regionalligaspiele ergibt sich in der zum einen noch viel mehr wegen den Fans auf den Rängen und zum anderen aus dem „großen“ Namen einiger weniger Vereine. Die sportliche Attraktivität eines Regionalligaspiels dürfte allerdings für den neutralen Zuschauer deutlich weniger ausschlaggebend sein.

Es bleibt für mich deshalb zweifelhaft, ob lokale Sender in der Lage sind, soviel Geld durch Übertragungen (sei es durch bezahlte Streams oder aber durch staatliche Förderungen) zu generieren um das Überleben von 20 (!) Mannschaften (am Beispiel der Regionalliga Nordost) zu sichern. Denn auch das muss man ganzheitlich betrachten, nahezu alle relevanten Einnahmen und eine Attraktivität für Sponsoren müsste sich allein durch eine TV- oder Stream-Übertragung generieren. Für die Mitglieder und Fans der Vereine würde zudem eine Doppelbelastung anfallen (bspw. Geld für Dauerkarte, welches Sicher dem Verein zu Gute kommt, und zusätzlich Geld für einen Bezahlstream (welches dann eventuell der ganzen Liga zu Gute kommt)). Überspitzt gesagt würden insbesondere die zahlenden Zuseher von Chemie, Chemnitz, Cottbus oder Lok das Überleben der anderen Vereine mit sichern. Auf der Habenseite fallen nicht nur die Einnahmen durch Eintrittsgelder weg, sondern auch durch Verkauf von Verpflegung und Fanartikeln während der Spiele. Anders als die BSG Chemie hat die überwiegende Mehrheit in der Regionalliga Nordost keinen Online-Fanshop.

Der Chemieblogger sieht die Gefahr einer Entwöhnung und Abkehr von Fans, sollten keine Spiele stattfinden. Hier müsste man zumindest diskutieren, ob diese Entwöhnung oder Abkehr nicht auch bei Geisterspielen entstehen könnte. Insbesondere die Zugangsvoraussetzung, dass Spiele ausschließlich im Internet übertragen würden, dürfte einige Fans abschrecken oder gar ausschließen. Zumal der MDR und die einzelnen Regionalligavereine nicht annähernd den Content zu Spielen, Vereinen und Spielern generieren, wie das vielleicht in oberen Ligen der Fall ist, um einer Entwöhnung zumindest annähernd erfolgreich entgegenzutreten.

Spielergesundheit in der Regionalliga

Ein weiterer und für mich extrem wichtiger Punkt ist die Sicherheit der Spieler sowie die Gewährleistung eines fairen Wettbewerbs. In der Regionalliga Nordost sind bislang neun Spiele wegen Coronainfektionen verschoben wurden (alle im Oktober). Dies kann zum einen damit begründet werden, dass die Spieler anders als im Profifußball nicht präventiv getestet werden und deshalb bei einem positiven Fall gleich ganze Spiele abgesagt werden müssen, da davon ausgegangen werden muss, dass andere Spieler der Mannschaft ebenfalls infiziert sind und somit gleich ganze Mannschaften in Quarantäne gesteckt werden. Zudem haben Regionalligisten nicht annähernd ausreichend große Kader, um mehrere coronabedingte Ausfälle zu kompensieren und einen fortlaufenden Spielbetrieb zu gewährleisten. Die Regionalliga West wird ja trotz des Lockdowns weiter spielen, regelmäßige Testungen sind aber nicht vorgesehen. Die Gefahr, sich mit Corona zu infizieren, ist für Regionalligaspieler meiner Meinung nach auch deutlich höher als für Profifußballer. Die meisten Spieler sollten mehr Kontakte außerhalb der Mannschaft haben, da sie parallel arbeiten gehen und auch sonst ein nicht so abgeschottetes Leben führen wie Profis. Deshalb macht es meiner Meinung nach Sinn, in Zeiten mit hohen Inzidenzwerten den Amateurfußball einzuschränken und so die Gesundheit von Menschen zu schützen.

Fazit

Geisterspiele in der Regionalliga sind meiner Meinung nach nicht rentabel und schwierig umsetzbar. Dazu vielleicht noch ein einfaches und banales Beispiel: Ein Bundesligaklub besitzt einen eigenen Mannschaftsbus mit eigenen Fahrern. Als Regionalligist würdest du momentan nicht mal ein Busunternehmen finden, was dich fahren dürfte. Also müsste man mit Leihautos zum Auswärtsspiel fahren. In der Regionalliga Nordost wäre übrigens eine der längsten Strecken von Berlin nach Auerbach 321 km. Das kostet Miete und Benzingeld, welches nicht durch Zuschauereinnahmen abgedeckt werden kann. Dazu kommen die erhöhte Gefahr von Ansteckungen und das Problem fehlender Testungen, die immer wieder zu Spielausfällen führen und somit den Wettbewerb extrem verzerren. Da scheinen ein Herunterfahren aller Aktivitäten der Vereine und die Absicherung der dann noch anfallenden Kosten durch staatliche Hilfen die deutlich sinnvollere Lösung zu sein, um ein Überleben der Vereine zu sichern.