Die Tür von der Gellertstraße

Als wir alle Chemiker:innen dazu aufriefen, sich Tickets für den Heimbereich in Chemnitz zu besorgen, wussten wir: Das birgt Brisanz. Was wir nicht bedachten, war die Situation für neutrale Fans, die sich den Pokalkracher zwischen Heimverein und unserer BSG anschauen wollten. Uns erreichte eine Nachricht eines Fußballfans aus Sachsen-Anhalt, der es weder mit Grün-Weiß noch mit Himmelblau hält. Und was ihm widerfahren ist, verschlägt uns die Sprache. Für das bessere Verständnis ist es wichtig zu wissen, dass er eine schwere neurologische Erkrankung hat, die ihn zeichnet. Wir dokumentieren seinen Bericht in redaktionell bearbeiteter Fassung:


INAKZEPTABEL

Der Fußball-Tag begann für mich gegen halb 12 Uhr am 21. Mai 2022, dem „Finaltag der Amateure“. Vielleicht vorab noch ein paar Informationen zu mir: Ich bin ein 43 Jahre alter Familienvater, gehöre keiner der beiden Fanszenen an und liebe Fußball. Da das Landespokalfinale in meinem Bundesland mich nicht reizte, plante ich einen Ausflug nach Chemnitz. Ich reise viel zu Fußballspielen quer durch Deutschland und Europa. Ich habe in diesem Rahmen viele, auch viele Hochsicherheitsspiele, erlebt.

Doch was ich in Chemnitz mit meinen vier Freunden durchmachen musste, war für mich eine unglaublich erschreckende Erfahrung. Weil so viele Dinge hier scheinbar gewollt oder gar geplant (??), auf jeden Fall fahrlässig zu diesen extremen Situationen führten, habe ich mich entschieden, mich mit diesen Informationen an die beiden Vereine, den Sächsischen Fußballverband und die Polizei zu wenden.

Im Vorfeld des Spieles wurde klar, dass ein normaler Ticketverkauf aus Angst vor zu vielen Gästefans nicht stattfinden wird. Dies zu kommentieren ist wahrscheinlich unnötig. Ein Besuch, zum Beispiel auf der Gegengerade und ohne die Farben der Gastmannschaft zu tragen, sollte jedenfalls möglich sein. Dies berichtete nicht nur die regionale Presse vorab, auch wenn man in der Stadionordnung einfach mal das ganze Stadion zum Heimfanbereich macht. Warum man keinen Raum für neutrale Zuschauer lässt, sollte der „Gastgeber“ sich vielleicht auch selbst einmal fragen.

Am Stadion angekommen mussten wir feststellen, dass es, anders als in allen mir bekannten Stadien, keine gut sichtbaren Hinweisschilder zu den jeweiligen Blöcken im Umfeld gibt. So gingen wir auf der Suche nach unserem Eingang zum zentralen Einlass in der Heinrich-Schütz-Straße. Niemand von uns hatte grüne Kleidungsstücke oder gar Symbole der Gastmannschaft getragen. Allerdings ist anzumerken, dass zwei Teilnehmer unserer Gruppe grüne Augen hatten, ich hoffe dies wird uns nicht zum Vorwurf gemacht.

Kurz vor Erreichen des Einganges stand auf dem Fußweg und im Eingangsbereich des Stadions eine Gruppe von 30 bis 40 junger und in schwarz gekleideter Männer. Diese forderten aggressiv unsere Ausweise. Drei Freunden und mir gelang es uns zwischen den Leuten durchzuschlängeln und kamen auf dem Stadiongelände bis kurz vor die Kassen. Dort wurden wiederum zwei von uns durch diese Gruppe gewaltsam gestoppt und ich stellte fest, dass unser fünfter Mann in Schwierigkeiten war. Mehrere Personen der genannten Gruppe schuppsten ihn aggressiv weg. Obwohl er sogar seinen Ausweis zeigte. Er stammt wie ich aus Sachsen-Anhalt.

Ich bin zurückgegangen, denn im Hinterkopf hatte ich tatsächlich den Gedanken zu schlichten. Okay, in dieser Situation mit diesem Personenkreis sicher keine sinnvolle Idee, aber ich glaube prinzipiell an das Gute im Menschen. Sekunden später spürte ich eine Hand an meiner Kleidung, die mich gegen den Hals drückte. Der junge Mann drohte uns totzuschlagen, weil wir in „IHREM“ Stadion nichts zu suchen hätten. Ich erklärte ihm den Hintergrund unserer Reise und hoffte auf Verständnis. Doch ganz im Gegenteil, mit Blick auf mein krankheitsbedingtes Zittern wurde mir gesagt, dass man solche „behinderten Dreckschweine früher direkt besser behandelt hätte“. Mit dieser Aussage im Ohr und Fäusten, die in unsere Richtung, auch in Richtung der Frauen, drohten, hatte man wirklich Bilder aus dem Geschichtsunterricht vor dem geistigen Auge. Wie hier auch gegen Frauen vorgegangen wurde, diese direkt und ohne Umschweife körperlich angegriffen wurden, das zeigt ebenfalls, welche Aggressivität hier vorgelegen hat.

Sämtliche Ordner drehten sich weg. Die Polizei war in diesem Bereich nicht präsent. Wir waren also hier in dramatischer Unterzahl einem gewaltbereiten Mob ausgesetzt. Aussagen wie die zu meiner Krankheit zeigten uns, welches Geistes Kind die Angreifer waren. Darum rief ich meinen Begleitern zu, dass wir gehen sollten. Schläge auf meinen Rücken waren der letzte direkte Kontakt und wir wurden noch bis zur Zietenstraße „begleitet“.

Begleitet haben uns auch die Drohungen, uns im Stadion „totzuschlagen“, wenn wir doch rein wollen. Wir wendeten uns zuerst fragend an einen Ordner. Dieser sehr freundliche Mann am Eingang des VIP-Parkplatzes schickte uns zu seinem Kollegen an die Ecke Gellertstraße. Dieser wiederum war ebenfalls sehr freundlich und bat seine Einsatzleiterin per Funk um Hilfe. Die Einsatzleiterin erklärte mir dann nach ausführlicher Schilderung, dass sie nichts für uns tun könnte, da wir ja nicht im Stadion sind. Auch auf die Einwände, dass wir ja von einem wilden Mob nicht hereingelassen werden und wie uns ja bereits auf dem Stadiongelände befunden hatten, reagierte sie nicht weiter. Uns blieb nur der nächste Schritt zu den Polizeikräften im hinteren Teil der Zietenstraße zu gehen.

Im Umfeld der bereitgestellten Wasserwerfer bat ich dann eine Gruppe der Polizei um Hilfe und erklärte ihnen den Hergang. Mir wurde zwar zugesichert, zum Schutz weiterer Zuschauer, Einsatzkräfte vor den oben genannten Eingang zu schicken. Man riet uns aber ab, es nochmals dort zu probieren, da man befürchtete, dass man uns gegebenenfalls dann im Stadion auflauern könnte. Habe ich erwähnt, dass wir fünf komplett neutral gekleidete Fußballfans waren, die sich nur auf der Gegentribüne ein Fußballspiel anschauen wollten?

Als Lösung empfahl man uns nun zur Haupttribüne in Richtung des VIP-Eingangs zu gehen, dort würde man uns sicher helfen. Am dortigen Eingang für unter anderem den Block 16 (?) wurden wir freundlich aufgenommen und erneut zu einem weiteren Teamleiter geschickt. Der ebenfalls freundliche Herr mit der blauen Weste wollte uns anscheinend wirklich helfen und war bemüht. Er holte per Funk seine Leiterin herbei, diese war ebenfalls bemüht zu helfen.

Leider mussten wir hier feststellen, dass sich immer mehr Personen um uns versammelten. Es waren aber keine Gaffer, sondern weitere Betroffene. Man merkte, dass die Ordnungskräfte nach Lösungen suchten. Wir begegneten erneut der Einsatzleiterin. „Ach die Gruppe schon wieder“, sagte sie und zu uns gewandt: „Ich habe doch gesagt, dass wir Ihnen nicht helfen werden“.

Einige der hinzugekommen wurden lauter und ich drehte mich zu diesen um und bat sie Ruhe zu bewahren, weil hier erstmals Leute waren, die ehrlich nach einer Lösung suchten. Nun trat ein weiterer Mann hinzu und erkundigte sich, was los war. Nach einer kurzen Schilderung ging er telefonierend zur Seite.

Wie ich später erfahren habe, war es Frank Kühne (Vorsitzender Chemie Leipzig e. V.). Die beiden Einsatzleiterinnen erklärten uns gerade allen, dass wir halt Pech hätten und selbst schuld wären, wenn wir zu einem Risikospiel gehen wollten. Es würde für uns also nun doch keine Lösung geben. Anders
als in allen mir bislang bekannten Stadien in Deutschland ist es in Chemnitz scheinbar nicht möglich neutral zu einem Fußballspiel zu gehen. Doch gerade in dem Moment, als ich mein Telefon nehmen wollte, um mir bekannte Pressevertreter zu kontaktieren, meldete sich Frank Kühne zurück im
Geschehen und teilte eine Lösung mit. Plötzlich überschlugen sich die beiden Damen mit Lösungsoptionen und Hilfen, die sie selbst Sekunden vorher noch kategorisch ausgeschlossen haben.

Für mich bleiben nach diesem Besuch viele offene Fragen:

Wie kann es sein, dass …

… im Bereich vor dem Haupteingang keine Sicherheitskräfte bei einem Risikospiel positioniert sind?
… die Ordner im Bereich der Kassen die Augen verschließen vor den Machenschaften der
Heimfans?
… ein Pokalfinale eines Verbandes wie dem Sächsischen Fußballverband so
ablaufen kann?
… die Polizei bei der hohen Präsenz im Stadtgebiet und um das Stadion in diesem Bereich nicht vertreten war? Obwohl im Vorfeld bekannt war, dass selbst die Fanszene der Leipziger zum Kartenkauf für diesen Bereich aufgerufen hat (Was ich gerade im Internet recherchiert habe)?

Wie steht der Chemnitzer FC zu den Äußerungen und dem Handeln seiner „Anhänger“? Ich zitiere aus der Einleitung der Stadionordnung:

„Unser Stadion ist eine Stätte sportlich, fairen Wettkampfes, der Erholung und Entspannung. Jeder Zuschauer ist aufgefordert sich diszipliniert im Stadion zu verhalten und diese Stadionordnung einzuhalten.“

Wie sieht der gastgebende Fußballverein sein Handeln und das Handeln seiner „Fans“ gerade auch mit den beleidigenden Angriffen auf meine Person im Hinblick auf dieses Posting der eigenen Homepage:

Quelle: www.chemnitzerfc.de

Sind es nicht Nazis, die im Stile längst vergangener Tage Eingreiftruppen bilden und sich ein eigenes Recht schaffen? Sind es nicht Nazis, die andere aufgrund einer Krankheit/Behinderung beschimpfen und ihnen quasi mit Handlungen aus den dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte drohen?
Ich kann diese Frage nur mit einem klaren „Ja“ beantworten und würde mich freuen, wenn sie an der Stelle mir ebenso ehrlich zustimmen. Wenn Sie das tun, aber für mich auch ohne diese Zustimmung, dann haben Sie, sehr geehrte Damen und Herren des Chemnitzer FC, nicht ein Problem nur mit völlig dem unangemessenen Verhalten Ihrer Anhänger, sondern ein klares Nazi-Problem.

Selbstverständlich kann ich alle Schilderungen hier auch mit Zeugen bestätigen!