Der Aufstieg Dynamos: ein sächsischer Clusterfuck

Bevor wir gestern die neue Folge unseres Podcasts aufnahmen, entschieden wir uns dagegen, über die jüngsten Ereignisse um den Aufstieg Dynamos zu sprechen. Der Bezug zu Chemie erschien zu dünn, die Faktenlage war auch dürftig. 24 Stunden später habe ich dennoch den Bedarf, etwas zu schreiben. Weil es Fans in Sachsen sicher früher oder später betreffen wird. Weil es um Fußball in direkter Nachbarschaft geht. Und weil der ClusterfuckTM so groß ist, dass ich ihn auch in 120 Kilometern Entfernung nicht aus dem Kopf bekomme. Fans, Verein, Polizei, Politik und Teile der Medien haben erneut aufgezeigt, was „So geht sächsisch“ bedeutet.

Die Ausgangslage

Ein Sieg Dresdens und die Rückkehr in die zweite Liga wäre perfekt. Schon vor dem Spiel – so scheint es – will der Verein signalisieren: Der Weg zum Stadion ist versperrt.

Nichtsdestotrotz sammeln sich tausende Fans im Großen Garten, Masken sieht man auf Bildern kaum. Und das Großaufgebot der Polizei wirkt auf nicht wenige nicht abschreckend, sondern als Einladung zu Krawall. Dass die Dresdner Polizei die Taktik mit massiven Kräften (letztendlich wurden mehr als 1100 Cops eingesetzt) die Fans vom Stadion fern zu halten als „Deeskalationsstrategie“ bezeichnet, wirkt auf mich ziemlich weltfremd. Dass der Verein das Polizeiaufgebot dokumentiert und über seine Kanäle an die eigene Klientel, um deren Affinitäten man doch wissen sollte, weiterleitet, mag ich in Anbetracht der folgenden Ereignisse als groben Faux-pas bezeichnen.

Angriffe auf Journalist:innen durch Nazihools

Dem Polizeibericht zufolge begannen gegen 15:30 Uhr Fans die Einsatzkräfte vorm Stadion zu attackieren. Kurz zuvor war das 3:0 gefallen, der Aufstieg Dynamos war klar. Menschen mit mehr Sachverstand über Deeskalationsstrategien müssen mir erklären, warum die Polizei den Raum um das Stadion weiterhin abriegelte. Was jetzt folgen sollte, wird die Fanszene in Dresden sicher eine Weile beschäftigen. Neben der Polizei wurden auch Pressevertreter:innen angegriffen, antisemitisch beleidigt und schwer verletzt. Zwischenzeitlich richtete die Feuerwehr Verletztensammelstellen ein, 44 Menschen wurden versorgt. Die Polizei berichtet von 185 verletzten Beamt:innen.

Und der Verein? Postet pünktlich mit Abpfiff das Aufstiegspaket mit Merch (natürlich inklusive Stück vom Tornetz) zum symbolträchtigen Preis von 53 Euro. Etwas später nimmt man den langzeitverletzten Kapitän Marco Hartmann zur Seite, der einen Appell an die Fans richtet. Zusammen feiern, das sei nicht drin. Auch im Stadion sei die Stimmung gedrückt. In dem Moment, als er die Bitte an die Fans konkretisieren möchte, wird er von einer Bierdusche unterbrochen. It‘s Partytime: Zwei Mitspieler hüpfen, grölen, die Stadionmusik düdelt im Hintergrund. Als Hartmann die beiden los wird, sagt er: „Geht bitte nach Hause“. Wie will man das irgendwem verkaufen? Die Spieler feiern ihre Schunkelparty, während die Fans draußen nicht feiern sollen. Aber am Montag stehen dann bitte alle wieder um 8:00 auf Arbeit.

Flächendeckende Amnesie

Das Fanprojekt twittert über die medizinischen Hilfsangebote vor Ort und wird dafür heftig attackiert. Vergessen scheint die vorbildliche Arbeit, die man in Dresden seit Jahren leistet. Die Vice wischt am nächsten Tag gar das Statement des K-Blocks gegen Pegida 2018 mit dem Hinweis auf vorhergegangene Irrungen in Dresden hinweg. Der Weg, der in Dresden in den letzten Jahren auf mich wirkte, als ginge er konstant in die richtige Richtung, wird negiert, die Arbeit gegen rechte Strukturen verschwiegen. Da wird das staatliche Versagen in der Verfolgung von „Faust des Ostens“ vermengt mit Einlasskontrollen des Vereins. Um dann als bizarren Vorschlag zur Lösung des Problems die Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden anzuführen. Als könnte die sächsische Polizei … ach lassen wir das.

Während sich die Pandemie hoffentlich dem Ende zuneigt, kamen gestern aus Dresden die Bilder, die einige lange erwartet hatten: Fans, die sich vor Stadien ohne Abstand versammeln und noch gar mit Bullen prügeln. Dieser Bärendienst, den die Dynamo-Hools der Fanszene in Gänze erwiesen haben, könnte die Diskussionen um Fans und Fanrechte in der nächsten Zeit prägen. Und es folgte instant, was folgen musste: Innenminister Wöller fordert Stadionverbote, als seien sie was Neues. Dazu sollen personalisierte Tickets helfen, Auseinandersetzungen vor Stadien künftig zu verhindern.

Es ist unentschuldbar, dass Nazi-Hools in Dresden wüten können und Journalist:innen angreifen. Punkt. Die Konsequenzen, die aus den Vorfällen gezogen werden, sollten mit offenen Augen beobachtet werden. Es wäre wünschenswert, dass alle Parteien rund um den Aufstieg Dynamos reagieren, wie es das Fanprojekt fordert und für sich verspricht: „(D)ass die Fehler, die zu dieser Dynamik geführt haben, erkannt und besprochen werden müssen. Hier sind alle Seiten und Akteure gefragt, sich kritisch mit der eigenen Verantwortung für diese Situation auseinanderzusetzen. Wir als Fanprojekt Dresden e. V. haben dies für unseren Aufgabenbereich bereits begonnen.“