Saisonausblick – Doch was bleibt, das sind wir Leutzscher!

Die NOFV-Regionalliga verspricht nächstes Jahr einiges. 20 Teams, darunter der ewige Tabellenführer der DDR-Oberliga, der Rekordmeister, der letzte deutsche Meister aus Leipzig und noch einige mehr. Dazu kommen mit den Berliner Vereinen,  dem CFC und Babelsberg 03 spannende Spiele, wie man sie in Leutzsch lange nicht in der Dichte gesehen hat. Wäre da nicht diese dreckige Pandemie. Und wäre da nicht auch der Größenwahn des NOFV. Die Regionalliga Nordost startet geplant mit 20 Teams in die nächste Spielzeit. Hätten RWE und Wacker Nordhausen nicht schon vorher den Rückzug angetreten, hätte die Liga gar 22 Teams geboten. Und das in einer Situation, in der die Vereine keinerlei Garantie haben, welche Planungssicherheit gewährleistet werden kann. Ich werde hier einige Zahlen durch die Zeilen jagen. Dabei ist viel Spekulation – was auch sonst.

Beginnen wir mit dem Offensichtlichen: Auswärtsspiele, diese stellen in der Liga einen großen Faktor der Kosten dar. Die BSG Chemie hat deren 19, wie auch jeder Konkurrent. Grob überschlagen (Distanz vom AKS bis in die jeweilige Stadt des Gegners nach Google Maps) sprechen wir von etwa 3000 Kilometern, die der Verein auswärts zurück legen muss. Darüber hinaus sind 38 Spiele zu absolvieren. Gehen wir vom besten Fall aus, beginnt die Saison am 15. August 2020 und endet vorm 30. Juni 2021: 46 Wochenenden liegen dazwischen. Ohne Winterpause, ohne Pokal, ohne englische Wochen. Letzte Saison pausierte die RLNO ziemlich genau acht Wochen lang. Also müsste die Liga alle Spiele durchziehen, damit kein Nachteil entsteht. Problem bei dieser engen Taktung: Pokal- und Länderspielpausen. Und Wetter. Oder ein positiver Corona-Test.

Während die Regionalliga Nord die Staffel aufteilt oder man in Bayern gar noch die letzte Saison in die nächste zieht, entschied man sich in der Zone für eine wahre Monsterliga. Jene hat Strahlkraft, ist ansprechend und ließe sich wohl auch als Produkt überregional verkaufen. Nur ist das Konzept realistisch? Der Präsident des Lokalrivalen vom Südfriedhof ließ im MDR verlauten, dass man wohl gegen den Abstieg kämpfe, ohne Einnahmen der Heimspiele mit Zuschauer_innen 50 Prozent des Umsatzes schwinden würde und Sicherheit eine Illusion sei. In Leutzsch wird es wohl nicht anders aussehen. Und wer weiß, wie viele der „Großen“ in der Liga sich wieder übernehmen, um in den Profi-Fußball aufzusteigen, in den der Meister nächstes Jahr wieder ohne Relegation kommt. Also während der Spielplan eng ist, die Einnahmen ungewiss sind, der Ausblick nach oben gleichwohl schön, droht nach unten – und das wird für die Chemiker_innen wohl einzig realistisch sein – die Oberliga für ein gutes Drittel der Liga spätestens übernächtes Jahr. Nach der desolaten Spielzeit in Halle, Zwickau und Magdeburg sind zwei bis drei Absteiger aus Liga 3 ins NOFV-Gebiet 2021 nicht unrealistisch. Müsste die Liga dann wieder mit 18 Teams starten und es steigen – hypothetisch – drei Mannschaften ab, zwei aus der Oberliga auf, würde man auf 6 Absteiger kommen. Um dieses Horrorszenario abzuwenden, hat der NOFV in seiner ganzen Weisheit die Anzahl der Absteiger für die nächste Saison auf vier begrenzt.

Damit ist das Problem aber lediglich um ein Jahr verschoben. Was nächstes Jahr tatsächlich übrig bleibt werden wir sehen. Und in Leutzsch? Es bleibt die Hoffnung, dass der sportliche Abstieg dem finanziellen nach geht. Wenn Corona eine zweite Welle bringt, wenn einige Vereine vielleicht noch vor Beginn der Serie zurück ziehen, wenn im AKS die Mannschaft spielt wie in der Hinrunde 2019 und wenn die Chemiker_innen den Verein finanziell auffangen, dann ist der Klassenerhalt ein realistisches Ziel. But who knows?

Unter anderem in Kaiserslautern jetzt schon Realität – bald auch für einen Großteil der Nordost-Vereine? Bild: Pixabay

Worüber ich bisher noch nicht sprach, ist die körperliche, aber auch die psychische Belastung und Verletzlichkeit der Spieler. Die Kader werden wohl vielerorts kleiner. Die Pause zwischen den Pflichtspielen ist riesig bis die Liga wieder startet. Was das genau mit den Sportlern macht, dazu kann man grobe Zahlen aus den USA ansehen. In deren Profiligen ist es alle paar Jahre normal, dass durch Streiks in Vertragsverhandlungen zwischen Ligen und Gewerkschaften monatelang weder Training noch Spiele stattfinden. Erfahrungsgemäß gehen die Verletzungsraten danach steil nach oben. Und das bei Profis, die millionenschwere Trainingsprogramme durchlaufen und personal coaches haben, die sie durch den ganzen Prozess begleiten.

Also fasse ich das trübe Bild zusammen: Die Regionalliga Nordost ist von der Anzahl der Mannschaften her eine der größten Ligen im deutschen Fußball der nächsten Saison. Wenn alles schlecht läuft, steigt übernächste Saison spätestens ein Drittel ab. Wie Einnahmen generiert werden sollen ist unklar. Die Ausgaben sind höher als wohl je zuvor. Die Kader sind klein, die Frequenz der Spiele hoch. Ein kalter Winter, eine gute Saison im Pokal oder ein positives Corona-Ergebnis verschärft das alles noch einmal. Dazu eine lange Pause seit dem letzten Spiel und die Ungewissheit, ob, wie und wann Geld beim Verein und den Spielern ankommt. Das sieht sehr düster aus. Und auch wenn ich gerne morgen wieder auf dem Norddamm kniend einen Derbysieg beschreiend Corona vergessen will, sehe ich gerade eine Pleiteliga vor mir, aus der die BSG hoffentlich in der gewohnten, realistischen Perspektive als das Team hervor geht, welches auch mit dem Impfstoff im Arm die Klasse hält. Denn die BSG wird niemals untergehen.

„Haltet die BSG in Ehren, dass sie niemals untergeht!“ – Foto: Höllenreiter

Text: @Simon1948