Ride on, Timmi

Der FC Carl Zeiss Jena kann für vieles stehen: Ewiger Tabellenführer der DDR Oberliga, einer der Vereine mit einer linken Fanszene im Osten, die Fanfreundschaft zu Bayern, der Kampf um die eigene Kurve, Fischattacken aus Rostock und noch viel mehr. Für mich steht der FCC für Timmi.

Wir lernten uns im Internet kennen, in Foren über Hardcore. Ich hatte damals gefühlt gerade meinen ersten Rechner, meinen ersten E-Mail-Account, den ich einrichtete um Myspace frei zu schalten. Und um in diesen kleinen Foren mehr über die Konzerte zu erfahren, auf die ich ging und gehen wollte. Der Ton war rau, ich naiv und schnell hatte ich die ersten Einladungen zum Boxen in meinem Postfach. Einer der Einladenden war Timmi. In Meiningen auf einem eher unspektakulären Konzert stellte ich mich ihm vor – der Internetmaulheld, der dem Älteren die Stirn bietet, leicht zitternd. Das war glaube ich das einzige Mal in den kommenden Jahren, dass ich ihn sprachlos erlebt habe. Seit diesem Tag schrieben wir regelmäßig. Als ich nach Leipzig zog, gingen wir essen, fuhren auf sächsische Käffer in die hiesigen AZs für Konzerte mit sieben Gästen, diskutierten über Musik, Veganismus, Politik. Und über Fußball.

Mein langer Weg nach Leutzsch

Zu jener Zeit brach ich gerade mit meinem Fansein bei Energie Cottbus, für die ich quer durchs Land fuhr – um Heimspiele zu sehen. Das eklatante Naziproblem (erinnert sei an eine Fahne mit SS-Totenkopf im Gästeblock in Bielefeld, die medial hinter dem „Juden Dynamo“ Banner zurück blieb), die Erzählungen von Opfern nazistischer Gewalt in der Lausitz, die von Cottbusfans ausging, und – am Ende auch – Pele Wollitz ließen mich ab rücken. Bei aller Begeisterung für den Sport: Diese Farben waren nicht mehr meine.

In Leipzig kam ein Investor aus Österreich und versprach Profifußball, den ich mit der Straßenbahn erreichen kann. Öfter als ich zugeben mag, besuchte ich das Zentralstadion. Und hatte danach stundenlange Diskussionen mit Timmi.

Ob ich denn bekloppt sei, in Leipzig gäbe es doch geilen Amateurfußball und am Ende sei Meppen doch eh besser als Madrid. So in etwa. Ich habe Jahre gebraucht, um ihn da zu verstehen. Wenn er erzählte, wie er kurz nach der Wende mit seinem Vater das Ernst-Abbe-Sportfeld besuchte, die Fans vom Waldhof über die Zäune gingen und die Mischung aus Angst und Faszination bei ihm diese Verbundenheit zu Carl Zeiss begründeten. Wie er sich unter der Woche doch noch ins Auto setzte, um gegen irgendeinen unbedeutenden Verein in Niedersachsen am Mittwoch um 17:30 Uhr vor 200 Zuschauern gnadenlos unterzugehen. Und natürlich, wie belanglos der Profifußball doch sei und wie die Korruption und Unfähigkeit in den Verbänden den Osten ausbluten ließ und dass Mateschitz nicht die Antwort sei.

Trauer und Fußball

Letzte Woche hatte ich mein erstes Fanzine im Briefkasten, seit ich diese – wie so viele Sammlerstücke – zu Hardcore-Zeiten aktiv verfolgte und bestellte. Das Fanzine Trauer und Fußball befasst sich mit Geschichten zu Erinnerung in und um Stadien, mit Depression und Fanhilfe und ist in seiner Gestalt und Offenheit für mich einzigartig. Falls es noch Exemplare gibt: Holt euch das Heft, den Aufwand den Carmen und Co. da betrieben haben kann ich nicht genug würdigen.

Fanzine Trauer und Fußball

Am Mittwoch werde ich nicht mit Timmi im Stadion sein. Das werde ich leider nie. Auch wird die Fahne, die in Jena öfter in Erinnerung an ihn hängt, nicht im Gästeblock zu sehen sein.

Ich meine, er würde mir erzählen, dass ich einfach auf ihn hätte hören sollen. Dann hätte ich mir diese Jahre im Zentralstadion gespart, hätte mit der BSG durch die Provinz fahren können, die Probleme im Profifußball deutlicher gesehen. Und nach all den zynischen Kommentaren über meine Dummheit hätte ich einen guten Freund umarmt, der mir fehlt.

Ride on Timmi!